Christiane Neehoff-Tylla ist seit dem 1.4.2023 Pflegedirektorin im Bonifatius Hospital in Lingen und in dieser Position für über 1000 Mitarbeitende verantwortlich. Davor war sie bereits über zehn Jahre als stellvertretende Pflegedirektorin tätig und hat das Thema Gewinnung und Integration von internationalen Pflegefachkräften vom ersten Tag an bis heute begleitet.
Frau Neehoff-Tylla ist selbst Gesundheits- und Krankenpflegerin, hat den Bachelor in Pflegemanagement (B.S.) und den Master in Gesundheitsmanagement / Health Management (MBA) abgeschlossen.
Thomas Röhrßen: Liebe Frau Neehoff-Tylla, Sie haben schon ein paar Jahre Erfahrung mit der Integration ausländischer Pflegefachkräfte im Bonifatius-Hospital in Lingen. Wann haben Sie mit der Integration ausländischer Pflegefachkräfte begonnen? Was war Ihre Ausgangssituation? Wie war der Einstieg? Was können Sie von den ersten Erfahrungen berichten?
Christiane Neehoff-Tylla: Die Gewinnung internationaler Pflegefachkräfte ist für uns ein herausfordernder und spannender Weg. Bereits seit über sechs Jahren beschäftigen wir uns mit diesem Thema. Unser Ziel ist dabei, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und uns auf die Zukunft vorzubereiten. Bisher gelingt es uns auf den meisten Stationen recht gut, die Stellenpläne zu erfüllen. Hierzu tragen auch unsere internationalen Pflegefachkräfte in einem hohen Maß bei. Nun starten wir mit dem Einsatz der internationalen Fachkräfte auf der Intensivstation und in der Zentralen Notaufnahme, um auch hier dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Die ersten Erfahrungen bei uns waren von vielen Spannungen zwischen dem Stammpersonal und den neu hinzugekommenen internationalen Pflegekräften geprägt. Unser Stammpersonal wünschte sich, dass die internationalen Pflegefachkräfte gute Deutschkenntnisse haben, schnell eingearbeitet sind und sich der Arbeitsorganisation anpassen. Unsere internationalen Pflegefachkräfte sind allerdings erst einmal damit beschäftigt, die Sprache, die Pflegekultur und die Arbeitsorganisation kennenzulernen, und sich in einem neuen Land zurechtzufinden. Dies bedarf viel Zeit, Unterstützung und Anleitung. Wir mussten an dieser Stelle viel vermitteln. Inzwischen ist das heimische Team sich dieser unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse bewusst, was zu einer deutlichen Reduktion der anfänglichen Spannungen führt.
Das Stammpersonal und die Praxisanleiter*innen benötigen jedoch weiterhin viel Geduld, denn durch die Einarbeitung der internationalen Pflegekräfte entsteht ein Mehraufwand und dies wird vom Team häufig als zusätzliche Belastung im Stationsalltag empfunden. Nach meinen Erfahrungen dauert es circa ein bis zwei Jahre bis die internationalen Pflegefachkräfte eigenverantwortlich und selbstständig die Patientenversorgung übernehmen können und in den Stationsablauf integriert sind. Hinzukommt, dass die Fluktuation der internationalen Pflegefachkräfte deutlich höher ist als bei Pflegefachkräften aus der Region. Dieses führt hin und wieder auch zu Enttäuschung des heimischen Teams, und es ist viel Motivation nötig, um immer wieder neue Fachkräfte einzuarbeiten.
TR: Wie stellen sich das Unternehmen und die Mitarbeiter*innen auf diese „interkulturelle Begegnung“ ein? Wie geht man aufeinander zu?
CNT: Es ist besonders wichtig, das Stammpersonal und die internationalen Pflegefachkräfte durch fortwährende interkulturelle Sensibilisierung auf die Begegnungen vorzubereiten. Nur so kann eine gute Zusammenarbeit sowie die gute Integration gelingen. Schulungen und Informationsveranstaltungen können helfen, kulturelle Unterschiede zu verstehen, Vorurteile abzubauen und eine positive Einstellung gegenüber Vielfalt aufzubauen. Offenheit, Toleranz und gegenseitige Wertschätzung sind meiner Meinung nach auf beiden Seiten wesentlich, um sich auf Augenhöhe zu begegnen und aufeinander zuzugehen.
Wir haben mehrere Workshops für unsere Führungskräfte in der Pflege durchgeführt und sensibilisieren regelmäßig in Leitungskonferenzen und Praxisanleitertreffen zur Thematik. Darüber hinaus haben unsere internationalen Pflegefachkräfte ihre Kultur und ihr Land am Internationalen Tag der Pflege vorgestellt. Die Präsentationen und Gespräche wurden von allen Mitarbeitenden als sehr wertvoll für das gegenseitige Verständnis beschrieben.
Die Vorbereitung der internationalen Pflegefachkräfte auf die deutsche Kultur und Mentalität erfolgt beim Start bei uns im Krankenhaus. Von zentraler Bedeutung sind die Sprachkenntnisse der internationalen Pflegefachkräfte. Diese müssen besonders gefördert werden. Wir bieten daher Sprachkurse an, mit dem Ziel, die Integration der internationalen Pflegefachkräfte zu fördern und Missverständnisse zu vermeiden.
TR: Gibt es aus Ihrer Sicht Besonderheiten bei der Fachkräftegewinnung für den ländlichen Raum? Wie sieht es da bei Ihnen im Emsland aus?
CNT: Es ist schwierig Fachkräfte für das Emsland zu gewinnen und auch langfristig zu halten. Meiner Meinung nach werden ländliche Regionen wie das Emsland oft als weniger attraktiv angesehen – besonders bei jüngeren Mitarbeitenden und bei Fachkräften aus dem Ausland. Die begrenzten Freizeitmöglichkeiten aber auch die eingeschränkte Verfügbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln hindern potenzielle Bewerber*innen in das Emsland zu kommen. Auch der Bekanntheitsgrad ist eingeschränkt – während große Städte und Ballungsgebiete überall bekannt sind, steht das Emsland als Region eher im Hintergrund.
Wir können jedoch beobachten, dass gebürtige Emsländer nach einiger Zeit in einer Großstadt in ihre Heimat zurückkommen, um sich langfristig niederzulassen. Selbstverständlich bietet unsere Region auch eine Reihe von Vorteilen Die Lebensqualität ist geprägt von einer naturnahen Umgebung und einer ruhigen Atmosphäre. Für unsere Mitarbeitenden, die kostengünstig wohnen möchten, ist das Emsland ideal, finde ich. Hier gibt es außerdem sehr gute Rahmenbedingungen für Familien in Form von Freizeitangeboten für Kinder, gute Kindergärten und anerkannte Schulen. Wir machen daher bei der Gewinnung von internationalen Fachkräften auch immer auf die Vorteile des Emslandes und der Stadt Lingen aufmerksam.
TR: Welches Expertenteam im Bonifatius-Hospital für den Bereich Personalgewinnung, Onboarding und Integration ausländischer Pflegefachkräfte haben Sie?
Wer steht da genau für was?
CNT: Das Team der Pflegedirektion ist im Bonifatius Hospital für die Gewinnung der internationalen Pflegefachkräfte zuständig. Darüber hinaus haben wir einen Integrationsmanager in der Pflege. Der Integrationsmanager steht ab dem ersten Tag für alle Belange zur Verfügung und bietet umfangreiche Unterstützung. Er übernimmt das Onboarding, die Begleitung der ersten Wochen in Deutschland sowie die Vorbereitung auf die Mentalität und Kultur. Zudem verantwortet er alle organisatorischen Dinge wie z. B. Behördengänge, die Eröffnung eines Kontos bei der Bank, die Anmeldung bei der Sprachschule sowie die Organisation und Vorbereitung auf die Kenntnisprüfung. Er ist für die internationalen Mitarbeitenden Ansprechpartner und Vertrauensperson und begleitet sie eng in den ersten Monaten.
Den größten Anteil der Integration übernehmen die Praxisanleiter*innen und Mitarbeitenden auf den Stationen. Die internationalen Fachkräfte werden von ihnen pflegefachlich auf den Stationen umfangreich begleitet und unterstützt. Wir haben ein spezielles Einarbeitungskonzept entwickelt, das Pflegefachkräften aus dem Ausland einen guten Start und eine strukturierte Einarbeitung ermöglicht. Die erfolgreiche Integration der Pflegefachkräfte funktioniert nur mit einem sehr guten und eingespielten Team. Besonders in den ersten Monaten stehen sie den Mitarbeitenden aus dem Ausland Tag für Tag zur Seite, leiten sie an, beantworten Fragen, dolmetschen und integrieren sie ins Pflegeteam.
TR: Was raten Sie den Kliniken, die noch ganz am Anfang stehen und viel Respekt vor dieser Aufgabe haben?
CNT: Der Prozess der Gewinnung von Pflegefachkräften ist mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden und sollte meiner Meinung nach langfristig geplant werden. Zu Beginn wurden wir mit den vielfältigen Anforderungen etwas überrollt. Daraufhin wurde eine übergreifende Projektgruppe zur Thematik gegründet, die sich mit allen Themen von der Gewinnung und Integration bis hin zur Anerkennung beschäftigt und ein Gesamtkonzept für internationale Pflegefachkräfte erarbeitet hat.
Für die Gewinnung von internationalen Pflegefachkräften ist es meiner Meinung nach wichtig mit Agenturen zusammenzuarbeiten, die über viele Erfahrungen und gute Referenzen verfügen. Auch sollten die Verträge der Agenturen gründlich geprüft werden. Wir arbeiten mit verschiedenen Agenturen zusammen, die aus unterschiedlichen Ländern Fachkräfte gewinnen. Wichtig ist darüber hinaus, dass die Kliniken sich mit den rechtlichen Anforderungen des Bundeslandes auskennen, damit die Anerkennung nicht länger dauert als notwendig. Zu beachten ist auch, dass es vom Start des Verfahrens in der Regel 1,5 Jahre dauert, bis die Fachkraft vor Ort ist.
Darüber hinaus sind eine offene Kommunikation und Transparenz von sehr hoher Bedeutung. Ein gegenseitiger respektvoller Umgang des Stammpersonals und der internationalen Pflegefachkräfte ist wichtig für einen gelungenen Integrationsprozess.
Ein fester Ansprechpartner muss beiden Seiten zur Verfügung stehen, denn nur so fühlen sich beide Seiten wertgeschätzt. Das heimische Team sollte aktiv eingebunden werden. Ich denke, es ist wichtig, Raum für offene Fragen zu schaffen, in dem Bedenken und Unsicherheiten aktiv gehört und auch geklärt werden können. Das heimische Team leistet mit viel Engagement und Unterstützung einen großen Beitrag zur Integration der Fachkräfte und das verdient Anerkennung und Wertschätzung.
TR: Vielen Dank, Frau Neehoff-Tylla.